Öffentliche Bibliotheken treiben die Digitalisierung medialer Bestände bzw deren Management voran und entsprechen damit dem Trend zu „Big Data“. Gleichzeitig befinden sie sich in einem Transformationsprozess, der ihre Funktion als soziale Face-to-Face-Infrastruktur im urbanen Raum stärkt und so ihre bedeutende Rolle bei der Förderung sozialer Kohärenz hervorhebt. Es fällt auf, dass Forschungen zu beiden Entwicklungen sich selten aufeinander beziehen.
Im Open Europe Projekt ILIT (Infrastructuring the Social: Public Libraries and their Transformative Capacity in Austerity Urbanism) untersuchen wir diesen transformativen Prozess anhand dreier städtisch/regionaler Bibliotheksnetzwerke in Schweden, Österreich und den Niederlanden aus der innovativen Perspektive des „Infrastructuring“.
In Weiterentwicklung meiner Studien zur Technosozialität im Kontext medialer Kommunikation argumentiere ich, dass kulturwissenschaftliche Forschung den „imperative of data“ (Stefania Milan) produktiv durchkreuzen sollte. Daher nimmt mein Vortrag die Verwobenheit leiblicher und digitaler Räume und Praktiken – Technosozialität – im Hinblick auf urbane Infrastruktur methodisch und inhaltlich unter die Lupe.
Herman Bausingers bahnbrechende Studie zur Volkskultur in der technischen Welt zeigte die Verflechtung von Technik und Alltagskultur anhand des Umgangs mit technischen Neuerungen des 19. und 20. Jahrhunderts auf. Heute betonen kritische Forschungen zu „Big Data“, dass deren Einsatz in Anwendung und Wissenschaft in das Leben der datafizierten Subjekte in nie dagewesener Weise eingreife. Der führende Medien- und Kultursoziologe Nick Couldry spricht von „Data Colonisation“ und fordert eine enge Anbindung von „Big-Data“ Forschung an „Small Data“ Praktiken etwa in zivilgesellschaftlichen Institutionen. In der digitalen Anthropologie praktiziert Dan Miller einen alltagsorientierten Ansatz der Technikforschung mit Fragen wie „Why we post“. Milan untersucht digitale Kultur, insbesondere den Umgang mit Daten und Dateninfrastruktur aus Perspektiven des Datenaktivismus und des globalen Südens. Dan McQuillen’s neueste Publikation trägt den Titel „Resist AI“ und kontextualisiert Formen des Maschinenlernens mit aktuellen sozialen Kämpfen.
Anhand ethnografischer Beispiele aus der ILIT-Forschung diskutiere ich methodische und begriffliche Herangehensweisen an diese hochaktuelle Problematik aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.