Im analogen Zeitalter bildeten professionelle Sexarbeitende (Escorts) eine eher standorttreue Gruppe: Man inserierte in Massenblättern, wurde von Interessent:innen angerufen und besucht, und erbrachte die verabredete Dienstleistung. Oft wurden Interessent:innen Stammkund:innen. Ortswechsel erforderten den Neuaufbau eines Kund:innenstamms. Heute ist dies anders, denn „Digitaler Kapitalismus“ (Staab 2019) und ‚Web 2.0‘ schufen Voraussetzungen dafür, dass Escorts delokalisiert kommunizieren und Reisen von jedem Standort buchbar sind. Mobilität ist möglich – und Teil einer Erfolgsstrategie, die darauf abzielt, nur zeitweise an einem Ort leibhaftig präsent zu sein, das eigene Gesicht (und den Körper) interessant, das Geschäft am Laufen zu halten. Und: die Ortsveränderung selbst zu zelebrieren.
Perfektioniert hat diese Strategie jene Gruppe von Sexarbeitern, die sich in das Spektrum non-heteronormativer Sexualitäten einordnet und aus einem Amalgam aus ökonomischen und queer-touristischen Motiven mobil ist und sein will. Gekennzeichnet ist dieser Lebensstil, der sich als Facette der „Globalization of Sexuality“ (Binnie 2004) begreifen lässt, von mehrerlei Entgrenzungen: jenen von Erwerb und Freizeit, jenen der räumlichen Zuordnung, aber auch jenen der sozialen und ‚kulturellen‘ Verortung. Die globalisierte Sexindustrie wurde vor diesem Hintergrund zu einem „fractal diaspora space“ (Mai 2012), einem Raum, der lebensstilistische Experimente ermöglicht und hybride Identitäten hervorbringt. Auf Basis narrativer Interviews mit Escorts, Kunden sowie Sozialarbeitenden aus dem Kontext der HIV-Prävention zielt der Vortrag darauf ab, diesen – durch die Digitalisierung des Alltags ermöglichten – Lebensstil, die mit ihm verbundenen Dynamiken in der Sexindustrie, die Entgrenzungen und Neuverortungen zu verhandeln. Zu fragen ist hierbei insbesondere danach, welchen Einfluss die Digitalisierung des Alltags auf den Prozess der Globalisierung der Sexualitäten nimmt.