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Cornelia Dlabaja nimmt in ihrem Beitrag die Transformation von Orientierung und Wahrnehmung des Stadtraums durch die Digitalisierung in den Blick. Der Beitrag reflektiert über sich wandelnde Alltagspraktiken im Kontext der Digitalisierung und der Orientierung in Städten. Er geht der Frage nach, welchen Einfluss digitale Kartographie sowohl im Kontext touristischer Praktiken als auch bei der Repräsentation neuer Stadtteile in Form von Renderings im Stadtraum nimmt (vgl. Dlabaja 2022). Wie nehmen Applikationen wie google maps Einfluss auf die Orientierung im Stadtraum und auf damit verknüpfte Praktiken des Erkundens und sich Verlaufens? Der städtische Alltag wandelt sich durch Digitalität. Mit der zunehmenden Dichte an Relationen auf der Grundlage digitaler Netzwerke und Infrastrukturen verändern sich kulturelle und soziale Praktiken der Stadtgesellschaft (vgl. Stalder 2016). Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive lässt sich im Zusammenhang mit der New Economy verfolgen, wie sich Plattform-basierte Ökonomien und damit verknüpfte Konsumpraktiken in den Stadtraum und das alltägliche Leben einschreiben (vgl. Altenried, Animento, Bojadžijev 2021). Ebenso im Wandel begriffen sind Aushandlung und Ästhetik der Stadtgestalt angesichts der digitalen Dimensionierung ihrer Wirklichkeit. Mit der Hyperrealität der Simcity (vgl. Soja 1996) verändert sich die Wahrnehmung von städtischen Räumen.

Der Beitrag greift den Aspekt der Digitalität basierend auf der stadtethnographischen Forschung zur Seestadt Aspern sowie auf autoethnographischen Beobachtungen im Kontext des Reisens auf. Daran anknüpfend reflektiert er über Aspern als digitales Panoptikum. Dieser Aspekt ist in der Alltagspraxis der Bewohner:innen bedeutsam, sei es in Form von sozialer Kontrolle, die in Facebook-Foren sichtbar wird, oder der Darstellung von Stadt in der digitalen Sphäre mittels Renderings und Kartierungen (Doderer 2017).

Öffentliche Bibliotheken treiben die Digitalisierung medialer Bestände bzw deren Management voran und entsprechen damit dem Trend zu „Big Data“. Gleichzeitig befinden sie sich in einem Transformationsprozess, der ihre Funktion als soziale Face-to-Face-Infrastruktur im urbanen Raum stärkt und so ihre bedeutende Rolle bei der Förderung sozialer Kohärenz hervorhebt. Es fällt auf, dass Forschungen zu beiden Entwicklungen sich selten aufeinander beziehen.

Im Open Europe Projekt ILIT (Infrastructuring the Social: Public Libraries and their Transformative Capacity in Austerity Urbanism) untersuchen wir diesen transformativen Prozess anhand dreier städtisch/regionaler Bibliotheksnetzwerke in Schweden, Österreich und den Niederlanden aus der innovativen Perspektive des „Infrastructuring“.

In Weiterentwicklung meiner Studien zur Technosozialität im Kontext medialer Kommunikation argumentiere ich, dass kulturwissenschaftliche Forschung den „imperative of data“ (Stefania Milan) produktiv durchkreuzen sollte. Daher nimmt mein Vortrag die Verwobenheit leiblicher und digitaler Räume und Praktiken – Technosozialität – im Hinblick auf urbane Infrastruktur methodisch und inhaltlich unter die Lupe.

Herman Bausingers bahnbrechende Studie zur Volkskultur in der technischen Welt zeigte die Verflechtung von Technik und Alltagskultur anhand des Umgangs mit technischen Neuerungen des 19. und 20. Jahrhunderts auf. Heute betonen kritische Forschungen zu „Big Data“, dass deren Einsatz in Anwendung und Wissenschaft in das Leben der datafizierten Subjekte in nie dagewesener Weise eingreife. Der führende Medien- und Kultursoziologe Nick Couldry  spricht von „Data Colonisation“ und fordert eine enge Anbindung von „Big-Data“ Forschung an „Small Data“ Praktiken etwa in zivilgesellschaftlichen Institutionen. In der digitalen Anthropologie praktiziert Dan Miller einen alltagsorientierten Ansatz der Technikforschung mit Fragen wie „Why we post“. Milan untersucht digitale Kultur, insbesondere den Umgang mit Daten und Dateninfrastruktur aus Perspektiven des Datenaktivismus und des globalen Südens. Dan McQuillen’s neueste Publikation trägt den Titel „Resist AI“ und kontextualisiert Formen des Maschinenlernens mit aktuellen sozialen Kämpfen.

Anhand ethnografischer Beispiele aus der ILIT-Forschung diskutiere ich methodische und begriffliche Herangehensweisen an diese hochaktuelle Problematik aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Dichte und Heterogenität sind charakteristische Eigenschaften des Urbanen, ebenso typisch ist die Gleichzeitigkeit von verschiedenen, auch miteinander in Konflikt stehenden Prozessen und Phänomenen. Angesichts der Komplexität sich überlagernder Räume fragt der Beitrag im Kontext der Digitalisierung nach lebensweltlichen Effekten auf die Stadtgesellschaft und geht generell davon aus, dass sich mit dem zunehmenden Ausbau und den Möglichkeiten digitaler Infrastrukturen nicht nur der städtische Alltag verändert, sondern auch kulturelle und soziale Praktiken einem tiefgreifenden Wandel unterliegen (vgl. Stalder 2016).  

Feld und Gegenstand der Analyse bildet München. Im Zentrum der Stadt und angrenzenden Quartieren lassen sich entsprechende Entwicklungen in verdichteter Form beobachten. Ein wesentliches Thema ist der ökonomisierte Immobilienmarkt mit gravierenden Auswirkungen auf das Leben in der Stadt (vgl. Harvey 2013). Wohnungen, Häuser und Appartements werden über Portale im Internet gehandelt – von Immoscout bis zu Airbnb. Zeitgleich baut Google seinen Firmensitz im so genannten Postpalast, in der unmittelbaren Nähe zu Wissensinstitutionen wie der LMU und der TUM mit ihren Talents und Technologies versuchen sich auch andere Global Player anzusiedeln (vgl. Florida 2002). Im Kontext von Stadt und New Economy lässt sich analog verfolgen, wie sich Plattform basierte Ökonomien und damit verknüpfte Konsumpraktiken in den physischen Raum einschreiben (vgl. Altenried, Animento, Bojadžijev 2021). Mit der Unterstützung von digitalen Zwillingen werden in der Smart City zugleich Projekte entwickelt, die den Stadtraum etwa im Hinblick auf Mobilitäten und Klimaziele nachhaltig umgestalten. Digitale Visualisierungen lassen die Stadt der Zukunft erahnen. „Shaping Urban Future“ lautet entsprechend der titelgebende Slogan eines Immobilienunternehmens, das ein historisches Gebäude, in dem viele Jahrzehnte ein Kaufhaus untergebracht war, zu einem flexiblen, urbanen Bürokomplex umstrukturiert.

Der Beitrag geht im Sinne einer reflexiven Digitalisierung (vgl. Beck, Giddens, Lash 1996) davon aus, dass auch in der Spätmoderne kulturelle und soziale Nebenfolgen einer Digitalität des Städtischen zu beobachten sind. Auf der empirischen Basis der skizzierten Transformationen, die vielfach positiv bewertet werden, stellt sich aus einer kulturanalytischen Sicht die Frage nach Irritationen, die sich beispielsweise an Kontroversen um den Zugang zu konsumfreien Orten, um Verdrängung, nicht gewährter Teilhabe oder die Frage nach der Repräsentation einer diversen Stadtgesellschaft festmachen lassen.